Wenn der Läuferin zu wohl wird, begibt sie sich in die Luft

   
Vorwort: mir kann nie etwas hoch genug sein, ich gucke für mein Leben gerne irgendwo nach unten, vorausgesetzt, ich bewege mich nicht auf einem Grat mit der Option, ganz schnell den Abgang zu machen. Kein Hochhaus, bei dem man ganz nach oben kommt, ist vor mir sicher, Ballon gefahren bin ich schon und habe mich am Fallschirm von einem Boot übers offene Meer ziehen lassen. Irgendwann im Frühjahr erzählte ich mal meiner Freundin Petra davon, daß ich gerne mal einen Tandemflug an einem Paraglider o.ä. mitmachen würde. Und was passiert? Petra merkt sich das und sie und Eric schenken mir - Freude schöner Götterfunken - einen Gutschein für einen Tandem-Drachenflug zum Geburtstag, verbunden mit einer Einladung nach Reichweiler, denn der Gutschein ist von der Drachenflugschule Saar. 

Am 17.08.03 kam dann der Tag, an dem ich meinen Gutschein einlösen wollte und sollte - und Petra & Eric begleiteten mich auf dieser Tour (und kutschierten mich durch Rheinland-Pfalz und das Saarland), die nachfolgenden Fotos sind alle von Eric. 

Kurz nach halb  9 h brechen wir auf (Läufer sind es ja gewohnt, sonntags früh aus den Federn zu kriechen), um 9 h treffen wir den Fluglehrer Helmut Bonertz in Wadrill (wie jetzt.. das kennt Ihr nicht? Naja.. kleines Dörfchen im Saarland, Ortsteil von Wadern) und dann geht's erstmal, der Wetter- und Windvorhersage entsprechend, in Richtung Startort. Für heute war Normagen an der Mosel (und damit schon wieder in Rheinland-Pfalz) ausgeguckt und schon der Weg dorthin war ein Fest für die Sinne, irgendwann macht's plötzlich PENG und man sieht die (eine? keine Ahnung) Moselschleife unten im Tal liegen. Und da fährt man immer ins Ausland in Urlaub... warum in die Ferne schweifen, wo das Gute/Schöne  liegt so nah? Nach einer kurzen Besichtigung des Landeplatzes fahren wir auf den Berg hoch - und machen erstmal NICHTS. Seit Wochen war prima Flugwetter, heute ist der erste Tag, an dem es total bedeckt ist und der Wind, so er sich überhaupt regt, auch noch aus der falschen Richtung kommt. So verbringen wir eine Zeitlang plaudernd bei wunderbarem Ausblick auf die unter uns liegende Mosel inclusive sie umgebender Weinberge. Helmut Bonertz erzählt uns ein bißchen was übers Drachenfliegen und der Umstand, daß er schon seit 27 Jahren unfallfrei fliegt, flößt mir absolutes Vertrauen ein. Dazu sein Humor, der auf meiner Wellenlänge liegt - dem Mann vertraue ich mich problemlos an. Außer mir sind noch eine Tandemanwärterin und ein Flieger, der ein bißchen was über Landungen lernen will, mit auf dem Berg. Immer wieder fallen ein paar Regentropfen, aber das Wetter kann sich nicht entscheiden, ob's nun Bubchen oder Mädchen sein und werden will.

Irgendwann fangen wir denn doch mal an, die Drachen aufzubauen: 

 

 

 

42 kg wiegt dieses Riesenteil, das für Tandemflüge ausgelegt ist. 200 kg Zuladung sind ok - obwohl ich in letzter Zeit ein bißchen zugelegt habe, kein Problem *g*.Mit unseren Aktivitäten haben wir Petrus aus der Reserve gelockt und er schickt uns etwas Sonne und einen Windhauch. Na also.. geht doch! Nachdem Peter, der Einzelflieger, seinen Flug absolviert hat, dreht sich Helmut zu mir um: "Komm Gabi, wir probieren's mal." Bevor wir in die Luft gehen können, müssen wir aber erstmal zur Ausrüstung greifen:  

 

das erste Mal seit vielen Wochen in Jeans und Sweatshirt

Beim Verabredungstelefonat am Donnerstag hatte ich die Anweisung bekommen: "Zieh eine alte Jeans an, wir machen eine Bauchlandung". Ich muß gestehen, ich hatte das für einen Scherz gehalten...

Nach ein paar Minuten war ich quasi "angespannt", das "Geschirr" saß, paßte, wackelte und hatte Luft:

tschüs.. war nett, Euch kennengelernt zu haben...
Klar, daß wir nicht gleich starten konnten, zuerst bekam ich noch ein paar Erklärungen und wir machen Trockenübungen, damit der Start auch reibungslos ablaufen konnte. Was da so aussieht, als hätte ich (ganz ohne laufen geht's halt doch nicht) den Fluglehrer den Berg runtergeschoben, war der Check, ob ich auch in der Lage war, auf Kommando einen kurzen Sprint hinzulegen und nicht später knieschlotternd auf der Startrampe das ganze Gespann Drachen-Helmut-Gabi ausbremsen würde. Entgegen meiner Vermutung hängt der Passagier übrigens nicht vor dem Piloten (heißt das so? hab' ich gar nicht gefragt.. dem Flieger halt), sondern seitlich hinter ihm. Festgehalten wird sich an den Gurten des Fluglehrers rechts und links seines Rückens, so daß man fast automatisch 1/2 Schritt hinter ihm steht.

Der Fallschirm hat eine Fläche von 84 m²

Petra = Drachen *ggg*

los.. ab mit Dir..

Nachdem diese Vorbereitungen alle abgeschlossen waren, wurde aus Spaß langsam Ernst. Helmut transportierte den Drachen die paar Meter zur Startrampe, dann wurde angeschirrt. Morgens war mir beim Blick die Rampe runter doch ein klein wenig mulmig geworden, aber wirkliche Angst stellte sich auch nicht ein, als wir uns in Startposition stellten. Ein Drachenflieger aus Düsseldorf, der, wie einige andere auch, mit seinem Drachen darauf wartete, daß das Wetter besser würde, murmelte irgendwas von "tragt Ihr beim ersten Mal auch Pampers?", aber damit entlockte er mir nur ein Schmunzeln, keinen Magendreher. 

 

 

letzte Trockenübung

Helmut zählte bis 3 - und dann hätte es beim besten Willen kein Zurück mehr gegeben. Das wäre auch das Letzte gewesen, was ich gewollt hätte. Wir liefen die Rampe runter und nach ein paar Schritten hingen wir plötzlich in der Luft - WOW.

auf die Plätze - fertig -

loooooooooooos

und weil's so schön war, gleich nochmal in GROSS

Zuallererst verschlug es mir, was wirklich selten vorkommt, die Sprache. Aber nur kurz, dann war "freier Flug" in allen Poren meines Körpers angekommen und ich genoß, genoß und genoß, die Aussicht war phantastisch, kurz durchzuckte mich der Gedanke "wenn jetzt meine Brille aus dem Helm rutscht, habe ich verloren". Wir flogen erst am Berg entlang, überquerten dann die Mosel (die Boote hatten eine Größe, als ob sie von Ameisen gefahren würden, wir schwebten etwa 200 m über dem Boden dahin) und nahmen auch schon Kurs auf den Landeplatz. 

nur fliegen ist schöner :-)

Landeanflug

Übrigens: die Bauchlandung fand wirklich statt. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, NICHT reflexartig die Beine anzuwinkeln, wenn der Boden näher kommt, aber das funktionierte problemlos. Mit Tandempassagieren wählt Helmut diese Sicherheitslandung, denn eine Lauflandung ist zu verletzungsanfällig, zu schnell kann es passieren, daß man stolpert und sich gegenseitig über den Haufen rennt (bzw. wohl immer eher der Passagier den Fluglehrer). Jedenfalls war der Hinweis mit den alten Jeans gut, die sahen anschließend aus wie die von kleinen Kindern nach dem Spielen: grün! Die Waschmaschine wird's richten! Nun war noch "aufräumen" angesagt, der Drachen mußte ja wieder auf den Berg gebracht werden für den nächsten Flug mit der nächsten Passagierin. 

Eric machte noch ein Doku-Foto "Gabi unten mit Startplatz oben über der linken Schulter", ich unterschrieb - die deutsche Bürokratie läßt grüßen - noch ein Formular, daß ich über die Risiken Bescheid wußte und auch sonst gesund und flugtauglich bin oder sowas in der Art und dann verabschiedeten wir uns. Ich bin allerdings sicher, daß Helmut mich irgendwann wiedersieht! So ein Drachenflug, das hat was! Ich muß gestehen, DER Sport für mich wäre es zwar nicht - aber eigentlich nur, weil ich ein eher ungeduldiger Mensch bin und nicht jedes Mal, wenn ich meinem Hobby nachgehen will, vielleicht stundenlang herumsitze, warte, daß der Wind sich dreht - und vielleicht am Ende doch unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahre. Da ist mir die Lauferei doch lieber, weil's ja bekanntermaßen kein schlechtes Wetter gibt, nur die falsche Kleidung. Nachdem meine Geburtstagsfeier 2003 schon so toll war, waren dieses Geschenk und das Erlebnis wirklich das absolute I-Tüpfelchen!!! Das Leben kann SO schön sein! Im Gegensatz zu Eric fand ICH mich übrigens gar nicht mutig, aber die Menschen sind ja zum Glück sehr unterschiedlich.

   kaum zu erkennen: Startplatz oben rechts im Bild

es lebe die Bürokratie!