Was
wurde eigentlich aus Edgar Itt? |
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An einem sonnigen Montagmorgen treffe ich das gerade 37 Jahr alt gewordene Energiebündel Edgar Itt in Frankfurt. Was der Mann, der Ende der 80er und bis Mitte der 90er Jahre als Nachfolger und Schützling von Harald Schmid die deutsche 400 m-Hürden-Szene beherrschte, inzwischen beruflich tut, hatte ich ansatzweise vor einigen Wochen selbst erlebt: der studierte Betriebswirtschaftler nennt sein Unternehmen „personality coaching“ und es umfaßt Vorträge und Seminare rund um den Themenkomplex „Rundherum fit im Job“ und zwar sowohl physisch als auch psychisch. Seine beste und wirkliche Ausbildung war für den Mann, der eigentlich mal Hoteldirektor werden wollte, der Hochleistungssport, nicht die Uni – obwohl er auch in seiner Diplomarbeit mit dem Thema „Sportsponsoring als Instrument zur Förderung des Markenimages“ dem Sport verbunden blieb. Das Studium absolvierte Itt neben den 12 wöchentlichen Trainingseinheiten. Obwohl für den TV Gelnhausen startend, wohnte er weiter in Ortenberg, einem kleinen Nest in der Wetterau, in dem er als einziges farbiges Kind auch aufgewachsen war und von seinem Großvater das Laufen gelernt hatte. Auf der täglichen Fahrt nach Frankfurt hatte er so ganz nebenbei Zeit, Motivation und Disziplin, sich mit Kassetten selbst Französisch beizubringen, um sich mit den nur französisch sprechenden Eltern seiner damaligen Freundin verständigen zu können. 1995 mußte Itt wegen einer Knorpelverletzung im rechten Knie seine WM-Hoffnungen sausen lassen und auch Olympia 1996 war dadurch in weite Ferne gerückt – dabei war eine olympische Einzelmedaille nach dem Gewinn der bronzenen Mannschaftsmedaille über 4x 400 m 1988 in Seoul durchaus im Bereich des Möglichen. Bis 1997/98 hoffte er noch auf ein Comeback, mußte dann aber einsehen, daß daraus nichts mehr werden konnte – und nahm erstmal eine sportliche Auszeit auch aus zuschauernder Sicht. Ein unfreiwilliges Karriereende verdaut sich halt erheblich schlechter als ein Abschied aus eigenem Willen. Heute macht es ihm auch wieder Spaß, im Stadion zu sein und beim „Auf die Plätze...“ einfach genußvoll in seine Wurst zu beißen. Edgar Itt 2004 – dem Lockenkopf von einst ist er inzwischen entwachsen, der kurzgeschorene Haarkranz zeigt zudem silberne Stellen. Aber noch immer hat er eine sportliche Figur, hält sich mit von ihm sogenannten Ibiza-Training fit (F-IT ist übrigens auch sein Autokennzeichen). Ibiza-Training? Meinen erstaunten Blick quittiert er lachend mit der folgenden Erklärung: Das ist das, was Otto Normalbürger halt so macht, um sich und seine Figur für den Urlaub am Strand auf Vordermann zu bringen oder zu halten: ein bißchen lockeres Jogging, kombiniert mit ein oder zwei Einheiten Krafttraining pro Woche. Sportliche Ambitionen hat er dabei keine mehr, die Zeiten sind vorbei. Überrascht vernimmt er, daß er noch heute insgesamt 6 hessische Leichtathletikrekorde hält (400 m Halle, 600 m, 4x 100 m Junioren, 200, 400 und 4x400 m männl. Jugend A), die er in den Jahren 1984 bis 1994 aufgestellt hat. Der Leichtathletik ist er nach seiner Schonzeit Ende der 90er wieder verbunden, kümmert sich zum Beispiel als Teamkoordinator um das Track-Team Burgwächter, dem auch Sabrina Mockenhaupt bis vor Kurzem angehörte. Zusammen mit Marathonmann Kurt Stenzel betreut er 8 junge Talente aus kleinen Vereinen, ist unter dem Burgwächter-Sponsoren-Motto „Fördern-Fordern-Führen-Gewinnen“ das Bindeglied zwischen Sponsoren, Heimtrainern und AthletInnen. Zudem ist er Mitglied im Leichtathletikförderverein des Hessischen Leichtathletikverbandes. Aber auch sonst ist der fidele Hesse umtriebig: mal spielt er Simultanschach gegen Weltmeister Kramnik, mal engagiert er sich bei der Initiative „Schule gegen Rassismus“, oder setzt sich zusammen mit anderen Sportlern für Organspenden ein. Daß er gerne und viel lacht, glaubt man ihm sofort aufs Wort. Am liebsten lacht er über Situationskomik, gerne auch mal über sich selbst – und wenn’s denn doch „kommerzielle Komik“ sein soll, nennt er Stand-up-Comedian Mario Barth als derzeitigen Favoriten. Lesen? Aber klar doch – Motivationsliteratur steht ganz oben auf der Liste, aber das zählt bei ihm ja eigentlich eher zur Fachliteratur. Dazu kommt täglich ein Stückchen Bibel (gläubig war Itt schon als Kind, betete in schulschwächeren Zeiten auch schon mal für gute Noten vor allem in Mathe und Englisch, zum aktiven Glauben kam er 1990 während einer hartnäckigen Verletzung durch ein Schlüsselerlebnis). Und wenn dann noch Zeit bleibt, ein Buch in die Hand zu nehmen, darf’s gerne Kishon oder Grisham sein. Und dann ist da noch das Thema Musik. Edgar Itt hört gerne Soul, der auch in Richtung Jazz geht. Zu nennen wäre da Luther Vandross – und natürlich Lionel Richie. Natürlich? Richies „All night long“-Auftritt bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles und die auch durch ihn entstandene Stimmung im Stadion ließen in Itt zuhause vorm TV den Entschluß reifen, selbst Olympiateilnehmer werden zu wollen und dafür auch hart zu arbeiten. Daß Talent alleine nicht genügt, war dem damals 17jährigen schon klar. Inzwischen hat er nicht nur das Ziel „Olympia“ schon lange erreicht, sondern auch Richie persönlich kennengelernt – und besonders menschlich macht ihn denn auch das sympathische Geständnis, daß ihm beim ersten Treffen mit einem seiner Idole vor lauter Aufregung der Puls stockte und die Worte ausblieben. Die Liste seiner sportlichen Erfolge ist übrigens mindestens so lang wie seine Finger, die beim Reden durch die Luft fliegen.
für laufreport im Juni 2004
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