Von fliegenden Bergkönigen und anderen Gipfelstürmern |
|
Der Gipfel des Hochfelln im Chiemgau ist 1.700 m über dem Meeresspiegel und wer ihn erreichen möchte, kann das wahlweise per Seilbahn oder zu Fuß erledigen. Normalerweise würde man wohl wandern, aber seit 31 Jahren gibt’s dazu einmal jährlich eine Alternative: den Hochfelln-Berglauf von Bergen hoch auf den Berg – und damit den ältesten Berglauf Deutschlands. 1.074 Höhenmeter verteilen sich auf 8,9 km, wobei die ersten Talkilometer noch relativ flach sind. Der zweite Kilometer wartet zwar schon mit den ersten Eingewöhnungssteigungen auf, aber der dritte ist noch mal etwas flacher als sein Vorgänger. Ab dem vierten Kilometer wird’s richtig heftig und der Untergrund wird, abgesehen von einem kleinen Teilstück im Bereich der Mittelstation der Seilbahn, trailig-uneben, besteht fast nur noch aus viel Fels und wenig Erde, die sich bei entsprechender Witterung auch noch in rutschige Matsche verwandelt. Teilweise sind auch noch Stufen „eingearbeitet“ und ab km 6 geht’s wirklich noch bergauf. Besonders im Bereich der Mittelstation stehen ganze Zuschauerpulks, die die LäuferInnen aufmunternd anfeuern. Der Hochfelln-Berglauf ist DAS Sportereignis des Jahres in Bergen. 200 m vorm Ziel weist eine Tafel auf das nahe Ende hin, 20 m dahinter biegen die LäuferInnen aus den Felsen-Serpentinen auf ein ebenes Wanderwegstück ab und viele denken hier schon nur noch ans Austrudeln, sind froh, endlich oben zu sein. Aber dann folgt, nach einer 180°-Kurve, der letzte Schreck: es geht noch mal bergauf. Und das noch mal so richtig: eine Wiesenrampe von etwa 50 m Länge fordert das Letzte von Motivation und Muskeln. Hatte es in den letzten drei Jahren hoch droben auf dem Berg sogar während des Laufs geschneit, beschränkte sich Petrus nach tagelangem Dauerregen im Tal darauf, über Nacht ein paar Zentimeter Schnee über den Gipfel auszustreuen, was die Wiese überwiegend weiß und vor allem überaus rutschig gestaltete. Die letzten Meter hoch ins Zieltor sind mit einem Geländer abgesichert und nicht Wenige machten auch Gebrauch von diesem Halt. Kaum durchs Ziel, warten aufmerksame Helfer mit einer Erstversorgung aus Wasser (in Halbliterflaschen) und warmen Wolldecken. So bewaffnet begibt man sich auf Holzstufen entlang des Zielhangs wieder abwärts, um unten in der soeben passierten letzten Kurve die Bergstation der Seilbahn zu betreten. Und hier warten nicht nur die Taschen mit trockener und warmer Kleidung auf die Helden der Berge, sondern auch noch eine Verpflegungsstation, die ihresgleichen sucht. Schon die Kuchentheke ist eine kleine Sensation für sich, so gut ausgestattet sind manche Volkslaufveranstaltungen selbst dann nicht, wenn’s um kostenpflichtige Nach-Lauf-Verköstigung geht. Dazu kommen Trockenobst, Nüsse, Schokolade (alles in Pappbechern und somit in rauhen Mengen abgegeben), belegte Brötchen, frisches Obst in Form von Bananen, Äpfeln, Pflaumen und Trauben sowie saure Drops und natürlich diverse warme und kalte Getränke. Wer so bestens versorgt ist, nimmt eine der Gondeln ins Tal, um dann nach ausgiebiger Dusche zur Siegerehrung in den Festsaal von Bergen zu kommen, wo auch am Vorabend schon die Nudelparty stattgefunden hat (dieses Jahr leider fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit – nach einem absoluten Run in 2003 blieb Otto Normalläufer diesmal weitestgehend draußen). Seit Jahren gehört dieser Lauf zum Berglauf-Grand-Prix und entsprechend findet sich hier auch die Weltelite ein, um um wichtige Punkte zu kämpfen, die am Ende, zusätzlich zu den Auslobungen der einzelnen Veranstalter, noch mal zusätzlich 10.000 Euro Preisgeld verheißen. In diesem Jahr lag der 5. Lauf der sechsteiligen Wertung an, nach Mölten (Italien), Heiligenblut und Telfes (beide Österreich), Susa (Italien) und eben Bergen folgt noch am 09. Oktober der Abschlußlauf in Smarna Gora (Slowenien). Aber nicht nur die Spitzenläufer sind Cracks, auch das hintere Feld weiß genau, auf was es sich einläßt, wenn es einen Berg laufend erklimmt. Die Zielzeit von 2 h hat niemand auch nur annähernd ausgenutzt, der Letzte passierte das hölzerne Zieltor nach 1:34 h. Klar, daß auch fast alle aus der Führungsgruppe des Weltcups in Bergen am Start waren, allen voran einmal mehr Bergkönig Jonathan Wyatt aus Neuseeland. Die meisten dürften Richard Bachs Geschichte von der Möwe Jonathan kennen, die auf der Suche nach absoluter Freiheit waghalsige Flugmanöver und Sturzflüge übt und eine Möwen eher uneigene Leichtigkeit beim Fliegen entwickelt. An sie muß man unwillkürlich denken, wenn man ihren Kiwi-Namensvetter die Berge förmlich rauffliegen sieht. Seit Jahren ist Wyatt, der auch auf flachen Strecken eine durchaus gute Figur zu machen versteht, am Berg unbesiegt. Nach seinem 21. Platz beim Olympischen Marathon in Athen (den er mit auch noch sehr beachtlichen 2:17 h beendete), absolvierte und gewann er an einem Wochenende den Dolimitenmann und den 3-Zinnen-Marathon (der in Wahrheit „nur“ ein halber ist) in Sexten und am Wochenende drauf den Val Gardena Extrem Marathon in Gröden. Wiederum eine Woche später stand nun „Bergen“ in seinem Terminkalender und schon am kommenden Wochenende wird er den Gislauf in Österreich absolvieren, bevor er zum Grand-Prix-Abschluß nach Slowenien fährt. Fast schon ist man enttäuscht, wenn Wyatt ins Ziel kommt und nicht schon wieder einen neuen Streckenrekord gelaufen ist. Er hält die Rekorde auf allen jemals von ihm gelaufenen Bergstrecken. Obwohl die Bedingungen am Hochfelln in diesem Jahr deutlich besser waren als in den letzten Jahren, verfehlte der Bergkönig seinen eigenen Rekord deutlich um fast eine Minute und lief fast 1,5 min an seinem Traumziel „39:59 min“ vorbei. Nichtsdestotrotz versicherte er gegenüber laufreport.de, daß er sehr zufrieden wäre mit dem Lauf, der nach einer langen Saison schon sehr hart gewesen wäre. Die europäischen Bergläufe 2004 nähern sich jetzt ihrem Ende und einen Marathon hat Jonathan Wyatt für dieses Jahr nicht mehr im Programm – auch ein Überflieger wie er muß sich mal irgendwann ausruhen. Und: allen Unkenrufen zum Trotz kommt auch ein Jonathan Wyatt auf der Kurzstrecke durchaus schwitzend ins Ziel – übrigens nach 41:25 min. Der Zweite des Rennens und bis nach dem 4. Lauf Fünfte der Grand-Prix-Wertung war John Brown aus Großbritannien. Allerdings gibt’s dort zwei Spitzenläufer gleichen Namens, der Bergläufer John Brown ist nicht identisch mit dem Stadionsportler. Brown brauchte 1:33 min länger als sein neuseeländischer Vor-Läufer. Auf einem erhofften dritten Platz landete Helmut Schießl vom TSV Buchenberg nach 43:32 min. Der 32jährige Allgäuer, der eigentlich von der (Ultra)Langstrecke kommt, zeigte sich bei der heißen Schlacht am Versorgungsbuffet durchaus zufrieden mit seinem Lauf. Zum Ausklang der Saison hat er sich jetzt noch einen Marathon vorgenommen: entweder Ljubljana oder den Napf-Marathon im Emmental. In den letzten Jahren war er oft beim Schwäbisch-Albmarathon, will jetzt aber auch einfach mal Läufe ausprobieren, die er noch nicht kennt. Auf die Marathonstrecke will er auch als Nationalmannschaftsmitglied im Berglauf nicht verzichten, weil man in der Länge einfach seinen Rhythmus finden und eine Weile einfach drauflos laufen kann, während man „die Kurzen“ einfach immer nur voll powern muß, um erfolgreich zu sein. Helmut hat in seiner Lauf-Bahn schon deutlich mehr erreicht, als er sich jemals erhofft hatte und so kann er locker zu Höchstformen auflaufen, wo andere verbissen um ihre Erfolge fighten. Er spricht aus, was viele von uns natürlich wissen: Laufen ist zu mindestens 30% Kopfarbeit und wenn der frei ist.... Sechster am Hochfelln wurde übrigens der Brite Martin Cox, der nach seinem zweiten Rang in Gröden meinte „Der zweite Rang hinter Wyatt zählt für mich wie ein Sieg“. Auch bei den Frauen hatte die Favoritin die Nase klar vorn: Antonella Confortola aus Italien lag zwar nach den ersten vier Wertungsläufen zum Grand-Prix „nur“ auf Platz 5, aber ihr fehlen auch zwei Läufe in der Sammlung. Mit 51:23 min kam sie als Gesamt-29. durch das Zieltor. 5 Plätze und 1:13 min später folgte ihr die Polin Izabela Zatorska, mit 320 Punkten bisher Führende in der Cupwertung. Und dann dauerte es nochmals 5 Einlaufplätze und 1:02 min, bis Daniela Gassmann aus der Schweiz das Ziel erreichte. Die 40jährige Ausnahmeathletin, die auch und vor allem beim Mountainbiken schon viele Erfolge zu verzeichnen hat, zeigte sich nach dem Lauf auch durchaus zufrieden mit ihrer Leistung und dem Treppchenplatz. Nach einigen Verletzungen war sie nicht wirklich sicher, ob sie so weit vorne würde mitlaufen können. Jetzt ist die Saison für sie zuende und sie will erstmal ihre Blessuren ausheilen. Insgesamt kamen übrigens 219 LäuferInnen ins Ziel, 33 von ihnen Frauen – dementsprechend war morgens auch die Schlange vor der Herrentoilette deutlich länger als die nebenan. Als Zusatzbonbon gab es eine mit 250 € dotierte nationale Zweier-Mannschaftswertung, die Helmut Schießl und sein Vereinskamerad Jürgen Winkler für sich entschieden. Nur 41 Sekunden hinter ihnen lagen zwei Pfälzer vom TV Hatzenbühl auf Platz 2: Christoph Fuhrbach und Christian Englert, die auch in heimischen Ergebnislisten immer ganz vorne zu finden sind. Englert hatte erstmals bei einem Berglauf mit Seitenstechen zu kämpfen und konnte so sein Können nicht voll ausreizen – damit ging dann der erste Mannschaftsplatz flöten und der Besuch auf dem Oktoberfest muß vertagt werden. Der Hochfelln-Berglauf incl. der Ergebnislisten ist im Internet unter http://www.berglaufgrandprix.de (unter Presseaktuell) zu erreichen und alles über den gesamten Grand-Prix findet man hier: http://www.berglauf-grand-prix.com/
für laufreport im September 2004
|
|