Keine Gnade für die Wade

 

 

Der Herrgott sprach „es werde Licht“, doch er fand den Schalter nicht. In Paderborn und Münster blieb es finster Diesen Spruch hat mir eine Bekannte direkt „an den Kopf geworfen“, nachdem ich erzählte, daß ich beim ersten Münster-Marathon mit an Bord sein will und werde. Finster war’s allerdings in Münster heute nicht, ganz im Gegenteil. Finster war es wohl nur in den Gehirnwindungen derer, die in den frühen Morgenstunden das km 27-Schild an der Strecke klauten. Und finster waren auch meine Stimmung und mein Gesicht, nachdem ich bei km 29 das Feld verlassen habe... Aber lieber mal alles der Reihe nach:

 

Ich bin am Samstag nach Münster gekommen und habe meine ersten positiven Erfahrungen mit dem quirligen HelferInnenteam schon gemacht, bevor ich überhaupt irgendwie in Reichweite des Marathons kam. Ich hatte nämlich meinen Pulli im Auto meines Laufkollegen Stefan liegen lassen, der hat ihn bei „meinem“ Startnummernschalter abgegeben, dort schrieb man einen Vermerk „Pullover“ auf den Umschlag mit meiner Nummer – und als ich eine Stunde später hinkam, war man sofort im Bilde und ich bekam meinen Pulli noch vor meinen Unterlagen ausgehändigt. Es dauerte zwei bis drei Minuten, dann hatte ich meinen Kleiderbeutel (Plastik statt Jute) in der Hand, meine Eigenverpflegung in die dafür vorgesehenen Kisten gepackt und war schon wieder auf dem Weg nach unten, wo Marathonmesse und Pastaparty stattfanden. Für letztere waren bei dem schönen Wetter einfach Bierzeltgarnituren unter freiem Himmel im Schulhof aufgebaut und schon lange vorm offiziellen Start um 17 h gab’s Nudeln zu kaufen. Enttäuschend war hier allerdings das Preis-Leistungs-Verhältnis: für eine kleine Portion Maccaroni mit frischen Tomaten in Sahnesoße (uiuiui.. fette Soßen am Abend vorm Marathon...) 4 Euro ohne Nachschlag bei Hunger finde ich etwas üppig. Nach einem kurzen Spaziergang durch die schöne Altstadt von Münster lag ich ziemlich früh im Bett, um gut gewappnet zu sein für 42,195 km...

 

Sonntagmorgen – auch mit meinem Hotel hatte ich es gut getroffen: extra für die 7 anwesenden Marathonis war die Frühstückszeit von 8 auf 7 h vorverlegt worden – und die Auscheckzeit war bis 15 h verlängert, damit wir nach dem Lauf noch duschen kommen konnten – wegen des Hochwassers in Sachsen waren die beim THW bestellten Duschzelte nicht verfügbar und damit die Hoteldusche sehr wichtig geworden. Die Kleiderbeutelabgabe erfolgte am Ort der Startnummernausgabe, nämlich direkt in Startnähe. Die Ausgabe war dann an selber Stelle, wer ins Ziel kam, mußte sich wieder zum Start begeben, ohne über Los zu gehen, um seine Klamotten in Empfang nehmen zu können. Inwieweit das reibungslos verlief, weiß ich nicht, mein Hotel lag näher am Ziel als der Start, deshalb habe ich darauf verzichtet, meine Tüte durch die Stadt zu schleppen. Schon morgens um 7, wenn die Welt eigentlich noch in Ordnung ist, fand ich es überraschend warm und kurz vorm Start zeigte das Thermometer schon 19° im Schatten an. Die Sonne blinzelte durch die Wolken, es versprach, entgegen jeder Wetterprognose, ein schöner und warmer und damit sehr zuschauerfreundlicher Spätsommertag zu werden. Die Verteilung in die Startblocks verlief reibungslos, am Eingang wurde kontrolliert. Die Schlangen vor den Toiletten waren überraschend kurz – soweit war noch alles paletti. Um 9 h, nach einer Begrüßung durch die beiden Michaels vom Orgateam und den Oberbürgermeister von Münster, wurden 5.000 „wildgewordene“ Läufer auf die Straßen von Münster geschickt. Die ersten km ging’s kreuz und quer durch die City, teils über Kopfsteinpflaster und immer wieder durch enge Kurven. Bei km 5 die erste Verpflegungsstelle – und die einzige, an der die Helfer offenbar ein kleines bißchen überfordert waren. Das Feld war natürlich noch total dicht und die Jungs und Mädels kamen kaum hinterher, gefüllte Becher bereitzustellen. Aber an diesem frühen Punkt verzeiht das sicher noch jede/r. Das Publikum war von Anfang an klasse: laut, dicht an dicht und begeistert feuerte man uns fast permanent an (u.a. mit dem Spruch aus der Überschrift, über den ich herzlich gelacht habe. Ein anderer lautete in etwa: Nachher müssen wir alle reihern, Ihr vom Laufen, wir vom Feiern)! Bei km 7 läuft man an einer orthopädischen Rehaklinik vorbei und da saßen dann auch einige Patienten im Rollstuhl, die uns Mut machten und versprachen, immer noch da zu sitzen, wenn wir auf dem Rückweg vorbeikämen (ca. 10 km de Strecke werden 2x gelaufen, allerdings in umgekehrter Richtung). „Kilometer 7“ – das ist ja so was, was man aus Hamburg kennt: da sitzt alljährlich ein illustres Clübchen an einem großen Frühstückstisch und feuert die Marathonis an. In Münster gab’s so was überall dort, wo man durch Wohngebiete lief und das war ziemlich oft– irgendwann ab km 20 drehte sich mir beim Anblick von fetter Wurst und Bier dann auch schon mal der Magen um. Hin und wieder kamen mal ein paar 100 m, in denen kein Zuschauer stand, aber meistenteils war richtig was los an der Strecke. Und an einer Stelle auch AUF der Strecke – da stand nämlich plötzlich eine Oma (eine von der Sorte, denen man eh am besten den Führerschein wegnehmen würde) mit ihrem Golf mitten im Teilnehmerfeld. Sie muß irgendwo eine Straßensperre mißachtet haben und wollte rüber auf die andere Straßenseite. Da kommen einem dann doch schon mal finstere Gedanken, ganz zu schweigen von den finsteren Blicken, die sich durch die Windschutzscheibe nach drinnen bohrten...

 

Es wurde von Kilometer zu Kilometer wärmer, die Sonne brutzelte inzwischen unerbittlich und man nutzte jede Gelegenheit, im Schatten zu laufen. Bei km 13 biegt man um eine Ecke und denkt nicht nur, man steht im Wald, man tut es wirklich: einen knappen km lang geht es durch ein Waldgebiet zwischen zwei Münsteraner Stadtteilen. Wie wohltuend! Die Streckenführung ist wirklich eine gelungene Mischung aus Stadt, Land und Wald – 1x ging’s über die Autobahn, da fühlte ich mich gleich ganz heimisch – im Rhein-Main-Gebiet gibt’s ja nur wenige Läufe, die nicht in Hörnähe von, irgendwo entlang der oder über die Autobahn führen.

 

Ich hatte mir für diesen Tag viel vorgenommen und habe meine Pläne auch angesichts der Tatsache, daß es morgens vorm Start schon sehr warm war, nicht verworfen. Und so kam, was fast kommen mußte: meine km-Zeiten wurden immer länger, weil ich an jeder Verpflegungsstelle längere Trink- und Schwammpausen gemacht habe. Diese Erfrischungen hielten aber zunehmend kürzer an und so entschloß ich mich an der Verpflegungsstelle bei km 29, Vernunft walten zu lassen und auszusteigen. Ich hätte mir keine bessere Stelle aussuchen können, denn km 29 liegt nur ein paar Meter von km 40 weg und so hatte ich nur 2 Gehkilometer in die City (allerdings dauerte es einige Minuten und auch einige Gespräche mit Helfern und DRK, bis mir das mal jemand sagen konnte, nachdem ich alle nach dem Rücktransport gefragt hatte). Auch auf meinem leidvollen „Heimweg“ machte ich tolle Erfahrungen mit dem Münsteraner Publikum. Da gab es einige, die sich fast alle als LäuferInnen entpuppten, die mich anhielten (meine Nerven lagen blank und dementsprechend blieb kein Auge trocken), fragten, ob sie mir helfen könnten – und mich trösteten und aufzumuntern versuchten. Dafür möchte ich an dieser Stelle einen Sonderdank loswerden! So kam ich dann auch bei km 41 am avisierten Weinstand vorbei – und genehmigte mir eine kleine Weinprobe, die hatte ich echt nötig. Ich bin dann direkt und ohne Umweg über den Prinzipalmarkt ins Hotel, unter die Dusche und zum Bahnhof – mir war nicht danach, zu sehen und zu hören, wie da der Bär los war – und daß er das war, habe ich inzwischen einigen Kommentaren im Forum auf der Homepage des Marathons entnommen. Auf der gibt’s übrigens auch eine umfangreiche Fotogalerie – und während des Marathons lief, neben den Bildern aus den Webcams entlang der Strecke, auch ein Newsticker, der permanent über das Marathongeschehen informierte.

 

Fazit: meine Vorschußlorbeeren aus dem Vorbericht von vor zwei Wochen waren nicht zu früh verteilt. Dieser erste Marathon in Münster wurde von Läufern für Läufer mit viel Liebe zum Detail organisiert. Sicher gibt’s noch die eine oder andere kleine Kante auszumerzen, aber was man da in Münster vorfand an diesem Wochenende, kann sich wirklich mehr als sehen lassen! Vielen Dank auch an dieser Stelle und viele Grüße an das Orgateam – Ihr wart Spitze!

 

Verpaßt habe ich durch meinen Ausstieg ein schönes Funktions-Finishershirt, eine hübsche Medaille und die Video-CD, die jeder Finisher zusammen mit seiner Urkunde in einigen Wochen zugeschickt bekommt.

 

Da die Münsteraner zwar Siegprämien aber keine Antrittsgelder zahlen, blieben die LäuferInnen mit Spitzenzeiten natürlich aus, nichtsdestotrotz können sich die Siegerzeiten wahrlich sehen lassen:

 

1.       Janina Malska (8): 2:50:54

2.       Magda Lisicka (6): 2:52:15

3.       Heike Säger (4218): 3:01:

4.       Elisabeth Rewer (3256): 3:02:56

5.       Maria Marschner (3790): 3:06:33

6.       Rita Lanwehr (483): 3:09:57

1.       Janusz Sarnicki (2): 2:25:08

2.       Andrej Nowack (5038): 2:25:47

3.       Damash Hawasko (5059): 2:25:59

4.       Mariusz Kaminsiki (3): 2:26:20

5.       Philipp Brouwer (3505): 2:35:19

6.       Sven Steinke (1024): 2:37:03 

Damit lag bei den Männern der erste Deutsche auf Platz 5, bei den Frauen liegt Heike Säger als beste Deutsche auf Platz 3.

 

für laufreport.de im September 2002

Und hier geht's zum Vorbericht, den ich 2 Wochen vorher geschrieben hatte.