Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen

 

„Vöglein sangen Lieder. Bin ich weit in der Welt habe ich Verlangen, Thüringer Wald nur nach dir“

 

Das ist der Refrain des Rennsteiglieds, das zwei Herren namens Karl Müller und Herbert Roth 1951 ins Leben riefen – und wer den Rennsteig so erlebt hat, wie ihn dieses Jahr die 1.530 Finisher des Supermarathons über 72,7 km von Eisenach nach Schmiedefeld erleben durften, kann diese Zeilen wahrscheinlich sogar ein bißchen nachvollziehen.

 

Gestartet wird diese Königsstrecke des Rennsteiglaufs in Eisenach – und zwar samstags morgens um 6 h. Eigentlich eine unchristliche Zeit, selbst für In-Eisenach-Schläfer klingelt der Wecker spätestens um 4 h morgens. Wer in Schmiedefeld übernachtet und den Shuttleservice zum Start nutzt, muß schon um 3 h im Bus sitzen. Da rentiert es sich ja kaum, überhaupt schlafen zu gehen.. Aber trotz der frühen Morgenstunden ist alles hellwach morgens auf dem Marktplatz zu Eisenach. Trotzdem geht es keinesfalls hektisch oder laut zu. Jeder verfrachtet sein Gepäckstück in einen der drei bereitstehenden LKWs, Bekannte und Freunde werden begrüßt, schnell noch ein paar Fotos geschossen, Zielzeiten ausgetauscht und dann geht’s auch schon los. „Time to say goodbye“ tönt laut Andrea Bocellis Stimme aus den Lautsprechern und bei einigen stellt sich sicher sofort eine dicke Gänsehaut ein. Gemächlich macht man sich auf den Weg über die Startmatten. Warum denn hetzen? 72,7 km sind soooooo weit, da kommt’s auf eine oder zwei Sekunden beim Start nicht an.

 

Der Troß setzt sich in Bewegung, schlängelt sich erst ein Stück durch die Straßen Eisenachs, erobert dann den Eisenacher Wald und bereits vorm Rennsteig sind die ersten Gehpassagen angesagt. Bei km 6,9 am Waldsportplatz warten bereits die ersten emsigen Helfer mit einer Getränkestelle und an der Hohen Sonne bei km 7,4 ist er dann endlich erreicht – der Rennsteig. Ab hier weisen ein „R“ auf Baumstämmen und zusätzlich Schilder mit einem grünen R auf weißem Grund den Supermarathonis den Weg durch den Thüringer Wald.

 

Bereits am frühen Morgen war abzusehen, daß die ausgestandenen Ängste der letzten Wochen vor Dauerregen oder gar Schnee (eine Woche zuvor lagen auf dem Großen Inselsberg noch einige cm der weißen Masse) unbegründet waren, es versprach, ein wunderbarer Tag zu werden. Selbst eingefleischte Frosthutzel legten in den letzten Minuten vorm Start noch die langen Ärmel ab, viele machten sich kurzärmlig und kurzbehost auf die Reise. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Schon bald ließ sich die Sonne am fast wolkenlosen Himmel sehen und begleitete die Läufer den ganzen Tag über, brachte erste Sommerfarbe in die Gesichter und auf die Arme. Dabei wurde es aber zu keiner Zeit zu warm und es war weitestgehend windstill, nur auf den Höhen und außerhalb des Waldes wurde man schon mal von einem frischen Lüftchen heimgesucht. Kurz: die klimatischen Bedingungen waren schlicht und ergreifend perfekt! Ein Traumtag für Läufer!

 

Der Rennsteiglauf ist laut Ausschreibung „Europas größter Crosslauf“ – aber die Wege sind inzwischen weitgehend „Autobahnen“ und gut zu laufen. Selbst wenn das Wetter der vergangenen Woche(n) einiges an Nässe übriggelassen hatte, waren selbst matschige Passagen noch gut unfall- und ausrutschfrei zu überwinden. Es gibt natürlich schon noch Wege, die sich durch Holprigkeit und Wurzelwerk auszeichnen, aber vom Geläuf her ist alles in allem zum Beispiel die Harzquerung von Wernigerode nach Nordhausen deutlich schwieriger. Will heißen: Trailschuhe braucht zumindest heutzutage niemand mehr, der sich den Rennsteig erlaufen möchte, die normalen Laufschuhe reichen völlig aus.

 

Der tiefst Punkt der Strecke ist am Start selbst, Eisenach liegt auf 210 m üNN. Das Ziel in Schmiedefeld ist schon 501 m höher – aber dazwischen liegen insgesamt 1.490 m Anstieg und 989 m Abstieg. Der höchste Punkt ist „Plänckners Aussicht“, die 973 m üNN hat man etwa bei km 61 erreicht. Dazwischen liegt vor allem der Große Inselsberg. Um bei km 25,5 seinen auf 910 m üNN liegenden Gipfel zu erreichen, muß man zuvor die giftigsten Steigungen der Strecke überwinden – aber beileibe nicht die letzten. Immer wieder geht es rauf-runter-rauf. Relativ ebene Streckenabschnitte sind zwar vorhanden, aber eher selten.

 

„Und wenn Du denkst, es geht nix mehr, kommt irgendwo ein Anstieg her“ – die Strecke ist so wenig langweilig und so abwechslungsreich, die Anstiege, die man gehen muß und sich damit für die nächsten Abschnitte erholen kann, scheinen immer dann zu kommen, wenn die Kraft gerade beginnt, sich zu verabschieden. Dazu kommt noch der gewaltige Seh- und Hörgenuß. Viele viele Vögel scheinen nur für die Läufer zu singen und der Wald zeigt sich von seiner allerschönsten Frühlingsseite. Hin und wieder läßt er nach rechts oder links den Ausblick in die Ebenen von Thüringen zu und auch hier zeigt sich das Wetter von seiner besten Fernblickseite. Zumindest im hinteren Teil des Feldes werden dann auch schon mal Fotopausen eingelegt und zu diesem Zweck sogar Felsen am Wegesrand erklommen. So viel Zeit muß einfach sein und wer weiß, wann man das so mal wieder zu sehen bekommt. Auch für eingefleischte Rennsteigläufer ist so ein Wetterchen keine Alltäglichkeit.

 

Über die Strecke verteilt gibt es 16 Verpflegungs- und Getränkestellen. Verdursten muß am Rennsteig wirklich niemand. Außer den üblichen Dingen wie Wasser, Cola, Tee, Brot, Obst und Riegeln wartet der Rennsteig mit einer berühmt-berüchtigten Besonderheit auf: dem Haferschleim. Jede Verpflegungsstelle präsentiert ihn in einer anderen Geschmacksrichtung und es heißt, daß nur der ein echter Rennsteigläufer ist, der das schleimige Gesöff zu sich nimmt. Und ich kann versichern: so eklig, wie es sich anliest und wie auch ich es mir vorgestellt hatte, ist er bei Weitem nicht. Im Gegenteil: die warme Masse füllt den Magen, belastet ihn aber nicht und gibt Kraft für die kommenden Kilometer.

 

Da außer den dem Supermarathon und den Laufwettbewerben Marathon und Halbmarathon auch noch Wanderungen angeboten werden, wird die Strecke irgendwann mit Massen von Wanderern belebt, die aber wirklich stets rücksichtsvoll Platz machen und auch ihre Stöcke beiseite heben, sobald sie von hinten jemanden im Laufschritt ankeuchen hören. An den Verpflegungspunkten ist auf der gemeinsamen Strecke auch mehr los und im Angebot: Schmalzbrote. Wurstbrote, Käsebrote, Knacker, saure Gurken oder auch Thüringer Bratwurst frisch vom Grill werden angeboten und sind natürlich auch den Läufern zugänglich – nur greifen von denen nur vereinzelt mal welche zu.

 

Die Verpflegungsstellen sind übrigens strategisch so günstig verteilt, daß nach jeder V-Stelle sofort und zumindest direkt einige Meter später ein kräftesparender bzw. trink- und verdauungsfreundlicher Anstieg folgte.

 

Am Ende eines mehr oder weniger langen Lauftages muß man dann noch ein bißchen durch die Straßen von Schmiedefeld, bis man über einen kleinen Hubbel direkt auf dem Sportgelände in den Zielkanal einläuft.

 

Als Erster schaffte das dieses Jahr Matthias Körner vom SC DHfK Leipzig. Der Sieger der letzten Jahre, Thomas Miksch, war wegen der anstehenden 100 km-EM nicht am Start und so unterbot Körner mit 5:15:44 h seinen Streckenrekord um 16 Sekunden – allerdings war der auf einer offiziell noch ein paar hundert Meter längeren Strecke aufgestellt. Matthias Körner, der Dt. Marathonmeister des Jahres 2000, Zweiter des Leipzigmarathons 2001 und Sieger von „Rund um den Baldeneysee“ 1991, 1992, 1995 und 1997, ist eigentlich gar nicht auf den Ultrastrecken zuhause. Am Rennsteig war er zwar schon mal, aber das ist 13 Jahre her.

 

Der Zweite, Ralph Koritz, ist in Schmiedefeld kein unbeschriebenes Blatt, allerdings lief er bisher „nur“ Halbmarathon und Marathon, konnte die Marathondistanz 1996, 1997 und 1999 gewinnen, 1998 war er Zweiter. Mit 5:18:31 h hatte er gut 10 Minuten Vorsprung auf seinen Verfolger.

 

Helmut Peters aus der Eifel, u.a. Sieger der Marathons am Rursee und in der Eifel in den Jahren 2000 und 2001 beendet mit diesem 3. Platz am Rennsteig nach eigener Aussage definitiv seine Lauf-Bahn als ambitionierter Läufer. Sein zeitraubender Job erlaubt ihm nur noch eingeschränktes Training und so begibt er sich ab sofort unter die reinen Freizeit- und Hobbyläufer.

 

Bis Platz 17 steht bei den Männer eine 6 vor dem ersten Doppelpunkt, weitere 170 Läufer blieben unter 7 h. Zu ihnen gehört auch LAUFREPORTer Michael Krüger, der seine Vorjahres-Rennsteig-pB noch mal um 6 min steigern konnte und nach 6:33:32 h auf Platz 80 nach Schmiedefeld kam.

 

LAUFREPORT-Tagebuch-Schreiber Werner Sonntag war bei seinem 13. Start als ältester Teilnehmer über 26 min schneller als 2003 und ließ mit 11:48:20 h noch 5 Männer und eine Frau hinter sich.

 

Bei den Frauen konnten sich in Abwesenheit der in den letzten Jahren übermächtigen Isabella Bernhard die Zweit- und Drittplaziert von 2003, Heidrun Pecker und Jutta Kolenc, jeweils einen Platz höher auf dem Treppchen sichern. Beide waren dabei zudem noch schneller als im Vorjahr.

 

Heidrun Pecker aus Jena kam nach 6:13:11 h und damit ganze 9 min eher als im Vorjahr ins Ziel. Sie hatte bereits 2001 hier gewonnen, wurde im vergangenen Jahr zudem Zweite beim 3-Länder-Marathon am Bodensee (LAUFREPORT berichtete).

 

Auch Jutta Kolenc ist in der Laufszene kein Newbie, so wurde sie 2003 in Biel überraschend Dritte über 100 km. Nach 6:24:56 h war hatte sie den Weg von Eisenach nach Schmiedefeld beendet – letztes Jahr war sie noch zwei Minuten langsamer.

 

Mit Mira Kaizl kam ein junges Lauftalent auf das Treppchen mit der 3. Die vereinslose Läuferin machte im März in Schwäbisch Gemünd beim Halbmarathon auf sich aufmerksam, den sie in 1:26 h gewann – aber 72,7 km sind schon ein ganz anderes Kaliber.

 

Außer diesen 3 blieben noch 4 weitere Frauen unter 7 h.

 

Auch am Start war Birgit Lennartz, die aber die Möglichkeit, mit Zeitnahme und Transportmöglichkeit am Grenzadler bei km 54,7 auszusteigen, nutzte.

 

1971 wurde der Rennsteig von 7 Abenteurern erstmals belaufen, sie teilten sich 100 km auf mehrere Etappen auf, mußten aber letztendlich aus verschiedenen Gründen am zweiten Tag gleich 60 km auf einen Rutsch absolvieren – der Rennsteiglauf war geboren. Drei der 7 Urväter waren auch dieses Jahr wieder auf der Strecke, allerdings „nur“ über Halbmarathon und Marathon. Hans-Georg Krämer bewältigte den Marathon in 5:26:03 h, Michael Brehme in 3:34:39 h. Ihr Kollege Wolf-Dieter Wolfram lief die 21,1 km in 2:08:39 h.

 

Auf dem langen Kanten waren immerhin 7 Läufer unterwegs, die bereits zum 30. Mal dabei waren. Diejenigen, die silbernes Rennsteigjubiläum feierten, waren grün markiert, die 20er gelb. So konnte jeder unterwegs die „alten Haudegen“ ausmachen und sich bei Lust und Laune auf beiden Seiten durch alte Rennsteiggeschichten unterhalten lassen. Wie bei jedem längeren Lauf, so bilden sich auch am Rennsteig immer wieder wechselnde Zweckgemeinschaften, um ein paar Kilometer des weiten Weges gemeinsam und sich gegenseitig aufmunternd zurückzulegen.

 

Umso unverständlicher ist die Handy-Unart, die sich auch am Rennsteig breit macht. Da rufen Läufer von unterwegs einige Male bei ihren Familien an, um diese zu wecken, guten Appetit zu wünschen oder sich nach dem allgemeinen Wohlbefinden zu erkundigen. Andere werden angerufen und tun dann laut kund, daß alles ok ist und sogar der Puls immer noch auf 120.

 

Auffallend war auch in Thüringen wieder die Unsitte, ein volles Kohlenhydrate-Gel-Päckchen viel Kilometer mit sich rumzuschleppen, um es dann mitten im Wald zu leeren und sofort an Ort und Stelle auf den Wegen zu entsorgen. Als ob ein leeres Päckchen plötzlich unerträglich schwer würde und Plastik und Folie so gar kein Problem für die Natur, um derentwillen man ja eigentlich den Start bei Landschaftsläufen wählt.

 

Wenn man’s ganz genau nimmt, ist auch der Marathon am Rennsteig ein Ultramarathon, denn nach der Definition ist ein Ultra all das, was über 42,195 km hinausgeht – und die Strecke, die Schmiedefeld von der anderen Rennsteigseite, aus Neuhaus, ansteuert, mißt 43,1 km.

 

Die Ergebnisliste weist hier 3.179 Finisher aus. Die Schnellsten waren bei den Frauen Tanja Hemjonowa vom LFV Oberholz (3:16:28 h), Diana Lehmann (Potsdam, 3:19:05 h) und Sabine Dümmler (TSV 1880 Gra-Zwötzen, 3:27:47 h). Die drei ersten Männer im Ziel waren Steffen Pollack in 2:45:01 h, Thomas Braukmann (LG Kindeslberg, 2:45:27 h) und Holm Kunze (PSV Zitta, 2:49:03 h).

 

Der mit Abstand teilnehmerstärkste Wettbewerb war der Halbmarathon von Oberhof nach Schmiedefeld. Hier wurden 5.636 LäuferInnen im Ziel begrüßt. Petra Stückmann war nach1:24:07 h die erste Frau auf den piepsenden Zielmatten, gut 12 min vor ihr war Christian Seiler nach 1:12:29 h im Ziel.

 

Außer den 3 Läufen werden beim Rennsteiglauf noch 5 Wanderstrecken über zwischen 12,1 und 50 km, ein 3,8 km-Cross für Geistig Behinderte und ein Junior-Cross für Kids (je nach Alter 1,4 bis 9 km) angeboten – auf und um den Rennsteig ist an diesem Tag die Hölle los.

 

Außer dem bereits erwähnten Rennsteiglied gibt es übrigens inzwischen auch ein RennsteigLAUFlied, das gerade durch die Lautsprecher tönte, als ich meinen Gepäcksack von der Wiese holte (bei schlechtem Wetter ist eine wasserdichte Tasche ein absolutes Muß, die guten Stücke liegen wie in guter alter Zeit einfach unter freiem Himmel) – über sachdienliche Hinweise würde ich mich wirklich freuen, ich war zu müde, um mir den Text zu merken. Der Tenor war etwa so in der Art:

 

Ho ho ho, was sind wir alle froh – und nächstes Jahr sehen wir uns wieder am Rennsteig!

 

 für laufreport im Mai 2004

 

Und dank Ralf Klink gibt's hier auch den Laufliedtext