Erbarme
– zu spät, die Ultras komme! |
|
Seit dem Jahr 2000 ist immer am letzten Januarsamstag in 63110 Rodgau die Ultralaufhölle los. Mancher mag sich nun fragen: „Rodgau? Wo oder was ist DAS denn?“ Dem einen oder anderen mögen die legendären Rodgau Monotones ein Begriff sein, die 2003 ihre silbernes Bühnenjubiläum feierten und mit „die Hesse komme“ auch über ihre Heimat, den Rodgau, hinaus bekannt wurden. Die Stadt Rodgau ist eine künstliche südlich von Frankfurt/Main, die sich aus fünf Stadtteilen zusammensetzt. Einer davon, Jügesheim, ist eher in der regionalen Laufszene bekannt durch seine Winterlaufserie und den Osterlauf. Der andere, Dudenhofen, ist in der Ultralaufszene ein Begriff, denn hier trifft sich Ende Januar ein guter Teil der großen Ultrafamilie zum 50 km-Lauf. Der Winter ist ja eine eher laufveranstaltungsarme Jahreszeit, wenn wettkampfmäßig gelaufen wird, dann überwiegend kurze Strecken. Und so wundert es keinen, der sich auskennt, daß der 50er in Rodgau seit seinem Bestehen immer größeren Zulauf hat. Und daß morgens in der Halle eine freudige Wiedersehensatmosphäre herrscht. Man hat sich seit vielen Wochen nicht mehr gesehen und da ist das Mitteilungsbedürfnis groß. So mancher überlegte, nächstes Jahr vielleicht schon 2 Stunden vorm Startschuß um 10 h da sein zu wollen, um genügend Zeit für alle Bekannten zu haben, bevor man sich auf die Strecke begibt. Ist man erst mal auf der Strecke, fühlt man sich mehr an Grönemeyers Mambo als an die Monotones erinnert. „Ich drehe hier seit Stunden gemütlich meine Runden“ könnte auch der Schlachtruf der Läufer sein, denn wer hier 50 km laufen will, muß 10 x unterm Start-Ziel-Banner durch, passiert 10 x die beidseitig aufgebaute und hervorragend bestückte Verpflegungsstelle und grüßt 10 x die Sanitäter, die kurz vor km 3 an einer Wegkreuzung ihren Dienst tun. Was sich so sehr nach Hamsterrad liest, ist aber im Grunde genommen eine kurzweilige Strecke, die teils durch den Wald, teils durch freies Feld führt – und das immer schön abwechselnd. Spätestens ab der 3. Runde kennt man die wichtigsten Stellen, weiß, wo man welchem Matschloch wohin ausweichen muß. Denn derer gab es viele an diesem 31. Januar 2004. Noch 2 Tage zuvor sah es so aus, als ob der Lauf im Schneechaos versinken könnte und auch am frühen Wettkampfmorgen war ein Teil der Strecke noch vereist. Ein Heer von Helfern machte sich mit Schippe, Hacke und viel Sand daran, die schlimmsten Stellen zu entschärfen und im Laufe des Vormittags trugen die fast schon frühlingshaften Temperaturen das ihre dazu bei, die Zeichen des Winters dahinschmelzen zu lassen. Nicht jeder, der in Dudenhofen an den Start geht, hat auch vor, die ganzen 50 km zu laufen. Viele nutzen die Gelegenheit, auf der 5 km langen Runde einen langen Trainingslauf mit 1a Verpflegung und netten Gesprächen zu absolvieren, verlassen den Ort des Geschehens schon nach 30 oder 35 km. Beim ersten Rodgauer 50er im Jahr 2000 kamen trotz widrigster Wetterverhältnisse 68 von 86 StarterInnen ins Ziel, das waren immerhin 80%. Bis auf das wettermäßig noch schlimmere Jahr 2001, in dem der Hagel schräg von vorn kam, lag die Finisherzahl immer in etwa bei 80%. 2004 waren 464 vorangemeldet, 24 meldeten nach, aber nur 356 traten an – und von denen absolvierten wiederum nur 266 die gesamte Strecke, 263 davon innerhalb des Zielschlusses von 6 h. Für die vielen Nichterscheiner gibt es sicher auch viele Gründe, die häufigsten dürften im Januar Erkältungen und das Wetter sein. Da man sein Startgeld, günstige 20 €, erst beim Abholen der Startnummer bezahlen muß, geht man mit einer frühen Voranmeldung kein Risiko ein und sichert sich grundsätzlich eins der Funktionsshirts für die ersten 250 Startnummern. Auffallend ist im Rodgau auch immer die Zahl der „Rucksacktouristen“. Viele derer, die im April zum Marathon des Sables in die Wüste von Marokko aufbrechen, integrieren den 50er in ihr umfangreiches Trainingsprogramm und laufen unter Wettkampfbedingungen mit vollgepackten Rucksäcken. Nicht jeder schleppt dabei seine normale Wüstenausrüstung mit sich rum, es sollen sich auch schon einfach Telefonbücher in diversen Rucksäcken befunden haben. Schließlich ist es egal, wie das Gewicht zustande kommt, das man testweise über eine längere Distanz bringen will. Da Ende März in Kienbaum die Deutsche Meisterschaft über 100 km ausgetragen wird, nutzten zudem viele diese Veranstaltung, um ihre Form zu überprüfen und/oder Trainingskilometer auf dem Weg zur DM nicht einsam und alleine auf heimischer Strecke zurücklegen zu müssen. Immerhin 9 LäuferInnen haben alle fünf bisherigen Läufe bis zum bitteren Ende absolviert – und diese wurden anläßlich des 5. Jubiläums zum 6. Lauf im Januar 2005 eingeladen. Und immer wieder hört man unterwegs „das hier ist mein erster Ultra“. Klar – 10 x 5 km eignen sich gut für ein Debut auf einer Strecke „Mehr als Marathon“, denn wenn nichts mehr geht, ist der Heimweg nie weit. Bei den Frauen war Constanze Wagner von www.laufreport.de angetreten, um ihren dritten Sieg in Folge bei ihrer vierten Teilnahme überhaupt anzugehen. Für sie war dieser 50er ein erster Formtest auf dem Weg nach Biel. Kienbaum kommt für sie zu früh und so liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Nacht der Nächte. Auf dem Weg dorthin will sie ihr Können noch in Kandel und beim Marathon Dt. Weinstraße unter Beweis stellen. In Rodgau lief sie ihren Konkurrentinnen von Anfang an auf und davon, auf den ersten Runden unterstützt von Gernot Helferich, der zum großen Feller-Clan gehört und seinem Namen alle Ehre machte. Nach 3:37:28 h war die W40erin im Ziel und unterbot damit ihren alten Streckenrekord aus dem Vorjahr auch noch um fast 3 min. Fast 20 min nach ihr, aber auch noch unter 4 h, kam Carmen Hildebrand vom SSC Hanau-Rodenbach nach 3:56:44 h ins Ziel. Sie ist eine derer, die es in Kienbaum wissen wollen. Ihre Vereinskameradin Simone Stöppler, die seit Jahren zum 100 km-Nationalteam gehört, sicherte sich mit 4:04:23 h Platz 3. Eindeutig ging auch das Rennen bei den Männern aus. Ebenfalls zum dritten Mal in Folge siegte der Ukrainer Serhiy Oksenyuk in 3:06:59 h und verfehlte damit den alten Streckenrekord seines Landsmanns Stanislav Lazyuta aus dem Jahr 2001 um deutliche 3 min. Allerdings mußte Oksenyuk auch ein einsames Rennen laufen, nachdem sein Trainingspartner Serhiy Fiskovych, der ihn anfänglich begleitete, bei km 25 planmäßig ausstieg. Platz 2 erlief sich in 3:19:36 h Lokalmatador Ulrich Amborn aus dem benachbarten Offenbach. Auch er bereitet sich derzeit auf Kienbaum vor. Dritter wurde Ralf Selle aus Niederbrechen in 3:24:20 h. Der für den SC Oberlahn startende M30er war 2003 unter anderem Zweiter beim Weiltalwegmarathon und will dort am 25. April ganz nach oben auf dem Siegertreppchen. Die Mannschaftswertung gewann zum zweiten Mal nach 2003 die LG Offenbach, bei den Frauen waren die Damen des SSC Hanau-Rodenbach bereits zum dritten Mal in Folge am Drücker. Gäbe es eine Familienwertung, stünden die Sieger schon im Vorfeld fest. Die Fellers aus dem Saarland waren zu Fünft erfolgreich auf der Strecke: Robert wurde 4., seine Frau Andrea 64. und 5. Frau. Vater Franz kam als 81. und Sieger der M65 ins Ziel, Schwester Silke als 266. und Schwager Gernot Helferich als 15. letztlich 4 Plätze hinter Constanze Wagner. Drinnen in der Halle paßte derweil Mutter Feller auf den sechsjährigen Patrick auf, der als Kleinkind auch schon 100 km-Läufe absolvierte – im Babyjogger. Den schönen Lauftag beschließen konnte man drinnen im Warmen bei Kaffee, Kuchen, Suppe, Würstchen und Fachsimpelei – schließlich muß man doch wissen, wo man sich wiedersieht. Die Veranstaltung mit allen Ergebnissen auch der letzten Jahre findet man im Internet unter http://rlt-rodgau.bei.t-online.de/
für die condition aus dem Haus meyer & meyer Sportverlag, erschienen im Heft März 2004
|
|