TransEurope footrace
comes Germany
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Die 30. Etappe brachte die noch verbliebenen Transeuropaläufer am 18. Mai über die belgische Grenze nach Deutschland. Vettweiß war das Ziel und hier konnten die Heroen der europäischen Landstraßen (und in Spanien sogar mal eines Autobahnstücks von ca. 500 m) gleich mehrere Unterschiede zu den bisher durchquerten Ländern ausmachen: die Duschen in der Turnhalle waren heiß und gegenüber gab’s gleich eine Pizzeria, ohne daß man erst auf der Suche nach etwas Eßbarem durch die Gegend irren mußte – die deutsche Turnhalle, an die nicht in irgendeiner Weise Gastronomie angebunden ist, wird man auch lange suchen müssen. Und daher dürfte es auch in den nächsten Tagen nicht allzu schwierig werden, Zusatznahrung zu finden. Überhaupt wird’s in Deutschland etwas bunter werden, denn es haben sich einige Einzeletappenläufer gemeldet, die in den nächsten Tagen eine oder mehrere Etappen mitlaufen wollen, zu nennen wären hier zum Beispiel Uli Schulte aus Bremen, der in den folgenden 11 Tagen immer einen Tag mitlaufen und 2 Tage als Betreuer helfen will oder natürlich auch der Steppenhahn, der die TELs Ende der Woche ein paar Tage laufend begleiten wird. Das Medieninteresse ist jetzt schon deutlich größer als in den vergangenen Wochen und „der Volksläufer“ interessiert sich hier auch eher für das Laufspektakel als anderswo. So waren auch die Betreuer des TEL heute etwas entlastet, weil die Verpflegungsstellen entlang der Strecke von ortsansässigen Lauftreffs versorgt wurden. Über Ergebnisse und Rennverlauf wollen wir nicht viele Worte verlieren, das kann man alles viel besser auf der offiziellen Seite www.transeuropalauf.de nachlesen. Ich habe mich mit 5 Läufern und 2 Betreuerinnen unterhalten und möchte diese Gespräche einfach ein bißchen zusammenfassen. Was mir auffiel: nach mehr als 4 Wochen hat sich quasi die Spreu vom Weizen getrennt, wer jetzt noch dabei ist, kann es wahrscheinlich auch bis Moskau schaffen, vorausgesetzt, die Gesundheit spielt mit. Bei vielen sah der Laufstil so locker aus, als hätten sie gerade mal ein paar km hinter sich, nicht schon ein paar tausend. Übereinstimmend hörte ich, daß sich der Körper nach 3 Wochen den Strapazen angepaßt hat, der Stoffwechsel hat sich umgestellt und jetzt läuft es sich viel lockerer als zu Beginn. Wer den TEL verfolgt, kommt natürlich am Namen Robert Wimmer nicht vorbei. Der Franke überrascht viele, die ihn kennen, er gewinnt viele Etappen und liegt derzeit mit 4 Stunden Vorsprung auf Platz 1 der Gesamtwertung. Momentan läßt er sich dazu verleiten, sich einen Zweikampf mit Martin Wangen zu liefern, der ihn täglich auf der zweiten Streckenhälfte einiges an Zeit abnimmt, egal welche Strategie Robert befolgt. Wimmer läuft nicht mehr sein eigenes Tempo, sondern versucht, dem von Wagen etwas entgegenzusetzen und so erlebte er am Samstag seinen schwärzesten Tag seit Lissabon, weil er erst eine Muskelverhärtung wegstecken mußte und sich dann schon zum 2. Mal verlief, nach einem Apothekenstop hatte er eine Abzweigung verpaßt und war schon 5 km von der Strecke abgekommen, bis er es überhaupt bemerkte. Da er sich einige Sponsoren suchte, steht der Lauf für ihn finanziell auf gesunden Füssen, die eigenen müssen jetzt auch noch bis Moskau durchhalten. Anders als andere Teilnehmer wechselt Wimmer seine Schuhe immer nach 800 km, ohne zwischendurch mal abzuwechseln. Warum er am TEL teilnimmt? Er möchte seine eigenen Grenzen ausloten und sich mit anderen Anwesenden messen. Sein ganz großer Lauf-Zukunftsplan: 22.000 km rund um die Erde in 220 Tagen. Aber dafür müssen seine beiden Kinder (Tochter Franziska ist erst 8 Wochen alt, Sohn Oliver besuchte ihn heute zusammen mit Vater Peter, der schon vor einiger Zeit den TEL beenden mußte) erst noch ein paar Jahre älter werden. Der Zweite im Rennen ist der Basler Martin Wagen, der im Jahr 2002 schon den Run across America gewann. Für den in der Basler Laufszene auch organisatorisch sehr engagierten Läufer ist dieser Lauf eine einmalige Sache, bei der er gerne dabei sein wollte. Er sieht den TEL gar nicht als Wettkampf, läuft mehr für sich und hat eigentlich nur ein Ziel: heil in Moskau ankommen. Gedanklich teilt sich der EDV-Berater, der sich gerade zwischen 2 Jobs befindet und so die Zeit für den TEL fand, den ganzen Lauf in die kleinstmöglichen Einheiten ein: die Tagesetappen. Und so kann er guten Gewissens jeden Tag wieder sagen: das Ziel ist das Ziel. Trainiert hat er für diese Strapazen nur 150 bis 220 km pro Woche, bis auf kleinere Zuschüsse zu den Schuhen und den Flügen nach Lissabon und zurück nach Hause hat Wagen keinen Sponsor, zahlt, wie viele andere, den ganzen Spaß aus eigener Tasche. Direkte Laufpläne für die Zeit nach dem TEL hat er noch nicht, will aber schon irgendwann mal den Spartathlon mitmachen und einen 24 h-Lauf absolvieren. Wagen hat das Glück, daß seine Freundin Alexandra mit an Bord ist, als seine persönliche Betreuerin und auch als Betreuerin im Team um Orgachef Ingo Schulze. Genau wie Ingrid Böhnke (zu ihr und vor allem ihrem Mann Günter komme ich später noch) berichtete sie von den Schwierigkeiten, die es an den V-Stellen unterwegs bereitet, daß Spitze und Ende des Feldes so weit auseinanderliegen. Da jeder in der Regel 2 V-Stellen zu betreuen hat, ist da immer wieder die Gratwanderung, abzuwägen, ob man wirklich noch auf den Letzten warten kann, oder lieber einfach Verpflegung für ihn zurückläßt, damit man nicht den Ersten verpaßt und dieser nichts zu trinken bekommt. Die Betreuer sind die ersten, die morgens aufstehen und die letzten, die sich abends auf die Matte legen können. Und dann ist da noch Wolfgang Schwerk. Der Mann hat so viele Geschichten zu erzählen, ihm hätte ich noch stundenlang zuhören können. Nach anfänglichen Schwierigkeiten geht es ihm jetzt von Tag zu Tag besser. Wolfgang ist letztes Jahr in New York Weltrekord über 5.000 km gelaufen und braucht eigentlich ein Jahr, um solch einen Lauf richtig wegzustecken. Und deshalb stand der TEL eigentlich auch gar nicht auf seinem Plan – bis dann Bayer auf ihn zukam und fragte, ob er nicht ins Polymer-Team möchte und beim ersten Sponsorangebot seines Lebens konnte dann auch Schwerk nicht nein sagen. Der Hausmann ließ sich von seiner Frau beurlauben und stand am 19. April in Lissabon mit am Start. Anfänglich hatte er vor allem Magenprobleme, aber so langsam pendelt er sich auf einen 5:30er Schnitt ein, will sich noch bis zum 5er Schnitt steigern. Angefangen zu laufen hat er 1974, nachdem er aber „alles“ erreicht und sich dann noch Knieprobleme angelaufen hatte, hielt er es von1988 bis 1996 mit Winston Churchill: NO SPORTS. Erst 1996 fing er langsam wieder an zu joggen und kam dann schnell wieder an seinen alten Leistungsstand heran. Schwerk hält z.B. seit 1986 den Hess. Rekord über 100 km. Er lief damals für den SSC Hanau-Rodenbach und brauchte 6:44 h für diese Strecke. Laufen gehört für ihn zum normalen Alltag wie Zähneputzen und essen. Morgens, direkt nach dem Aufstehen, schlüpft er komplett nüchtern in die Laufschuhe, läuft dann so eine bis drei Stunden und kümmert sich dann erst um den Haushalt. Laufen hat für Wolfgang, wie für viele andere, etwas Meditatives, gerade bei Rundenläufen wie dem in New York kann er teilweise Körper und Geist trennen. Im Gegensatz dazu genießt er bei solchen Etappenläufen die Umgebung und hat noch Zeit und Blick für Landschaft, Geierfelsen, Marmorbrüche u.ä. Auf was er sich momentan am meisten freut? Am Montagabend endet die Etappe in seiner Heimat und da schläft er dann zuhause, mal wieder im richtigen (und sogar noch dem eigenen) Bett, die Wäsche wird in der Maschine und nicht nur mit der Hand gewaschen. Und er freut sich auf die Verpflegung in den nächsten Tagen, in Deutschland wird der Vegetarier keine Probleme mit den Mahlzeiten haben. Einer, der für seine extremen Unternehmungen bekannt ist, ist Stefan Schlett aus Kleinostheim. Die Liste seiner „Verrücktheiten“ ist zu lang, um darüber auch nur einigermaßen einen Überblick verschaffen zu können, Stefan läuft nicht nur, seine sportlichen Extremleistungen erbringt er auch beim Triathlon, Fallschirmspringen und Bergsteigen. Der 41jährige war sich heute zu 50% sicher, daß er Moskau erreicht, meinte, daß jede andere Annahme überheblich wäre. Der Unsicherheitsfaktoren gibt es für ihn viele, aber bei Nichteintreten dieser höheren Gewalten ist er zuversichtlich Moskau zu erreichen. Aber auch Schlett setzt sich erst mal kleinere Ziele. Das nächste ist Berlin, dann Warschau, dann Minsk und dann meint er, könne man mal langsam anfangen, an Moskau zu denken. Stefan hat seine Schuhe präpariert, indem er sie vorne sandalenähnlich ausgeschnitten hat. Auf der Fußsohle fehlt im Fersenbereich schon ein Stück, aber er meint, damit schaffe er locker noch 500 km. Und last but not least ist da derjenige, um dessen Willen wir heute den Weg nach Vettweiß überhaupt angetreten haben: passtschon98er Günter Böhnke, der anstatt eines Lauftagebuchs seine Eindrücke jeden Abend per SMS nach Bad Soden schickt, wo sie bei www.passtschon98.de veröffentlicht werden. Seine anfänglichen Probleme haben sich in Luft aufgelöst, Günter macht einen sehr lockeren Eindruck und auch er wußte zu berichten, daß sich sein Körper nach 3 Wochen auf die neue Lebenssituation eingestellt hat und jetzt relativ klaglos alles mitmacht, was er ihm so zumutet. Wie Martin Wagen hat Günter das Glück, daß seine Frau Ingrid sich mit auf den Weg von Lissabon nach Moskau gemacht hat und so kommt er allabendlich noch in den Genuß einer ausgiebigen Fuß- und Beinmassage und Ingrid übernimmt es auch, außer ihrem anstrengenden Betreuerjob noch die zusätzlichen Essensrationen für Günter zu besorgen, was schon so manches Mal einige Irrfahrten durch fremde Städte mit sich zog. Ihr Mann muß eigentlich „nur“ noch eins tun: laufen. Auch er ist zuversichtlich, Moskau zu erreichen. Auf jeden Fall macht ihm der TEL Spaß, noch nie hat er einen Gedanken daran verschwendet, daß es gut ist, wenn’s vorbei ist. Und das ist wohl auch schon die halbe Miete auf dem langen Weg quer durch Europa. Nach allem, was ich heute gesehen und gehört habe, stelle ich es mir einfacher vor, diesen Lauf zu absolvieren, als ihn zu organisieren. Die einfachste Aufgabe dürfte das Spannen des Zielbanners sein: dafür wird nämlich nur mit Kreide ein Strich auf die Straße gezogen und „Finish“ dazugeschrieben. für laufreport im Mai 2003 |
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